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Lob und offene Fragen bei Nestlé

Endlich ein Nachhaltigkeitsbericht, der seinen Namen verdient, und neue Statuten, die ihre Versprechen halten - Nestlé gab dieses Jahr Anlass zur Zufriedenheit. Die neuen Strategien für den Handel in Schwellenländern werfen hingegen Fragen auf.

Lobenswert

ACTARES hatte anlässlich der Generalversammlung 2008 von Nestlé gleich mehrere Gründe, zufrieden zu sein. Einerseits hatte Nestlé erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, der diesen Namen auch verdient. Vom Unternehmen selbst wurde er als erster Schritt bezeichnet. Für ACTARES ist es ein gewaltiger Qualitätssprung in der Reporting-Praxis von Nestlé. Auch die von den Aktionärinnen und Aktionären genehmigte Statutenänderung ist positiv zu werten.

Hausieren mit «Produkten zu Populären Preisen» in Brasilien

Nestlé beabsichtigt, den Markt auf Bevölkerungsschichten mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 10 USD pro Tag auszudehnen und schätzt dessen Grösse auf 2,8 Milliarden Personen. Deshalb entwickelt Nestlé eine Reihe von «Produkten zu Populären Preisen» (PPP), die in Supermärkten zum Verkauf gelangen. Um auch die Kundschaft zu erreichen, die keinen Zugang zu Supermärkten hat, führt Nestlé seit einigen Monaten in Brasilien einen Pilotversuch durch, bei dem PPP in Kleinportionen an der Haustür verkauft werden. Verkauft werden sie nicht einzeln, sondern nur als «Kit» verschiedenster Artikel, durch Personen mit dem Nestlé-Logo auf T-Shirt und Verkaufswagen.

Fragen von ACTARES

Ohne dem Verkauf an der Haustür gewisse positive Aspekte absprechen zu wollen, stellte ACTARES Fragen zu dieser Initiative, und zwar in Bezug auf:
• die Eignung des Verkaufs von Kleinportionen an in der Regel grosse Familien,
• die Sortimentszusammensetzung, welche die Wahl einschränkt und zum Konsum von Produkten ohne eigentlichen Kaufentscheid führen kann,
• das Verhältnis der Verkäuferinnen und Verkäufer zu Nestlé und die Gewährleistung ihrer Sicherheit in Quartieren, die häufig von kriminellen Organisationen kontrolliert werden,
• die Bewirtschaftung der Abfälle, die durch die anfallenden Verpackungen in diesen Quartieren vervielfacht werden, und
• den Verkauf der Produkte an die Konsumentinnen und Konsumenten auf Kredit.
Dieser letzte Aspekt der Initiative erscheint als besonders problematisch. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Verlockung zur Verschuldung der armen Bevölkerung beim Basiskonsum. ACTARES sieht hier eine Parallele zur Subprime-Krise.

Antworten von Nestlé

Paul Polman, bei Nestlé verantwortlich für Nord- und Südamerika, antwortete, der Versuch werde gegenwärtig in São Paolo und Rio mit 4000 Verteilerinnen (tatsächlich nur Frauen) durchgeführt. Diese würden von Nestlé ausgebildet und kämen in den Genuss eines Mikrokredits als Starthilfe für ihre Tätigkeit. Nestlé rechtfertigt dieses Vorgehen mit dem guten Ruf des Instruments Mikrokredit und der anerkanntermassen verantwortungsvollen Einstellung, die Frauen gegenüber Rückzahlungen haben. Zu den Kundenkrediten wurde lediglich erklärt, es handle sich um eine Art «Milchbüchlein»-Kredit, würden doch die Löhne nur einmal pro Monat ausbezahlt. Ausserdem gebe es kein «Subprime-Risiko», da es hier um die Schaffung von realen Werten gehe. Im Anschluss an die Generalversammlung ersuchte ACTARES schriftlich um Ergänzung der Antworten.

Dissonanzen bei den Wahlen

Ohne die Kompetenzen der vorgeschlagenen Personen anzuzweifeln, äusserte sich ACTARES gegen die Wiederwahl von Andreas Koopmann, Mitglied des Ausschusses, welcher die aus der Sicht von ACTARES überhöhten Entschädigungen des Verwaltungsrates festlegt. Aufgrund des geringen Frauenanteils im Verwaltungsrat stellte sich ACTARES auch gegen die Wahl von Paul Bulcke und Beat Hess. Paul Bulcke ist als CEO durchaus in der Lage, effizient mit dem Verwaltungsrat zusammenzuarbeiten, ohne selbst Mitglied zu sein. Peter Brabeck antwortete, ein Einspruch gegen die Entschädigungen müsse über die Ablehnung von Jahresrechnung und Jahresbericht erfolgen. Was die Vertretung der Frauen angehe, so liege sie bei Nestlé mit 14% über dem europäischen Durchschnitt von 8,5%. Er erwähnte verschiedene laufende Massnahmen zur Karriereförderung von Frauen im Unternehmen, betonte jedoch, die Qualität und der Wert der Bewerbungen hätten dem Geschlecht gegenüber Vorrang. Überdies liege Nestlé viel daran, dass der CEO im Verwaltungsrat Einsitz habe.

Immer noch Konflikte um Wasser bei Nestlé

Die Medien haben sich eingehend mit Peter Brabecks Auffassung von globaler Wasserbewirtschaftung befasst. Nestlé legt im Geschäftsbericht 2007 die grossen Anstrengungen zur Schonung dieser Ressource und der Umwelt dar. Gleichzeitig hebt Nestlé hervor, dass das in Flaschen verkaufte Wasser nur einen winzigen Teil der weltweit verfügbaren Süsswassermengen ausmache. ACTARES erinnerte anlässlich der letzten Nestlé-Generalversammlung daran, dass die Nutzung von Quellen manchmal zu Konflikten führe. Seit Jahren wird Nestlé auf die übermässige Ausbeutung der Primavera-Quelle im brasilianischen São Lourenço angesprochen. Nach Absetzen der Produktion von Pure-Life-Wasser wurde vor einem Jahr endlich auch der Pumpbetrieb eingestellt. Nun gilt es, das Gelände zu renaturieren und einen konstruktiven Dialog mit den lokalen Gemeinschaften aufzubauen. ACTARES nimmt jedoch besorgt zur Kenntnis, dass in den USA ähnliche Konflikte um von Nestlé ausgebeutete Quellen bestehen.