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Nestlégate - schwerhörige Economiesuisse

Dachverbände der Schweizer Wirtschaft müssen sich nicht um Details der Geschäftsführung von einzelnen Unternehmen kümmern, das ist nicht ihre Aufgabe. Sie müssen hingegen für gute Rahmenbedingungen einstehen und Positionen zu grundsätzlichen Fragen erarbeiten. Wenn es um ethische Fragen geht, tut sich Economiesuisse schwer damit.

Im Juni des letzten Jahres platzte der Skandal um die Bespitzelung von Attac Vaud durch Securitas (siehe ACTARES-Info 18). In den von der Securitas-Agentin zu Handen von Nestlé verfassten Berichten werden unter anderem Namen und Adressen von Kontaktpersonen detailliert erwähnt. Häufig erscheint der Name von Franklin Frederick aus Brasilien. Dieser vertritt die Forderung nach öffentlichem Zugang zu Wasser. In der Gemeinde Sao Lourenço hatte Nestlé ohne Rücksicht auf Bevölkerung und lokale Landwirtschaft Wasser abgepumpt und demineralisiert, um ihr international standardisiertes Flaschenwasser «Pure Life» zu produzieren.

Wurde ACTARES auch ausspioniert?

Nestlé bestritt zwar, einen Auftrag zur gezielten Bespitzelung von Attac gegeben zu haben, war jedoch im Besitz der entsprechenden Protokolle. Da ACTARES wiederholt Kontakt zu Franklin Frederick hatte, lag die Annahme nahe, dass auch ACTARES von der Spionage betroffen sein könnte. Am Tag vor der Generalversammlung kam ein Brief von Nestlé, in dem der Präsident des Verwaltungsrats, Peter Brabeck, versicherte, es gebe keine Hinweise, dass ACTARES «überwacht» worden sei.

Existiert diese Praxis auch bei andern Unternehmen?

ACTARES überlegte sich, den wichtigsten grossen Schweizer Unternehmen die Frage zu stellen, ob sie solche Spionage-Praktiken klar verurteilen. Dies hätte jedoch von den Firmen, mit denen wir einen Dialog führen, als Misstrauensvotum ausgelegt werden können. Deshalb entschied sich ACTARES, den Dachverband der Schweizer Wirtschaft, Economiesuisse, um eine Stellungnahme zu bitten. Für den Fall, dass Economiesuisse keine Meinung zu diesem Thema hätte, verlangten wir die sofortige Ausarbeitung einer Empfehlung und deren Aufnahme in den Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance (Empfehlungen zur guten Geschäftsführung).

Schwierige Kommunikation

Der erste Brief blieb zwei Monate ohne Antwort. Economiesuisse hatte offensichtlich Dringenderes zu tun, als sich zu ethischen Fragen der Schweizer Wirtschaft zu äussern. Auf unsere Nachfrage kam die Antwort: «Aufgrund Ihres Pressecommuniqués vom 18.6.2008 schliessen wir, dass sich Ihr Brief auf einen konkreten Einzelfall bezieht. Es ist nicht unsere Praxis, zu individuellen Firmenvorfällen Stellung zu nehmen.» Das hatten wir auch gar nicht verlangt. Offensichtlich war unser Brief «verloren gegangen».

Schwache Antwort

ACTARES liess nicht locker und erklärte nochmals geduldig, um was es ging. Erst vier Monate später kam eine Antwort. Darin beruft sich Economiesuisse auf das Schweizerische Datenschutzgesetz, bei dessen Umsetzung der Verband aktiv beteiligt gewesen sei, und auf das Strafgesetzbuch. Darüber hinaus bestünden keine spezifischen Empfehlungen und es sei auch nicht beabsichtigt, entsprechende Weisungen zu erlassen. «Mit freundlichen Grüssen.» Economiesuisse erklärt sich damit nicht zuständig für ein ethisch begründetes Anliegen. War dieses Thema ein zu heisses Eisen?