Interview: Jean Laville
Jean Laville, Experte in den Bereichen verantwortungsbewusstes Investment und soziale Verantwortung von Unternehmen, ist Vizepräsident von «Sustainable Finance Geneva» (SFG), einer Organisation, die sich seit 2008 in Genfer Finanzkreisen für die Förderung von Nachhaltigkeitsstrategien engagiert. Als der Nachhaltigkeit verpflichteter Vermögensverwalter bei der Stiftung Ethos und der Bank Pictet hat er verschiedene Studien über die soziale Verantwortung von Unternehmen durchgeführt.
ACTARES: Muss die Finanzwelt auch im Jahr 2012 noch punkto Nachhaltigkeit sensibilisiert werden? Die meisten Grossunternehmen veröffentlichen doch schon ausgezeichnete Sozial- und Umweltberichte.
Jean Laville: Fortschritte sind festzustellen, aber die Kommunikation über die ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Governance) hängt weiterhin vom guten Willen der Unternehmen ab. Aussagekräftige Vergleichsanalysen werden dadurch nicht gerade vereinfacht. Nur ein knappes Drittel der 100 grössten börsenkotierten Schweizer Unternehmen berichtet strukturiert über die CO2-Emissionen, wie die jährliche Umfrage des «Carbon Disclosure Project» belegt. Und nur 29 Unternehmen verwenden die ESG-Kriterien der «Global Reporting Initiative».
Neben sozial verantwortungsvollen Anlagestrategien und aktivem Aktionariat, wie z. B. ACTARES, ist immer häufiger auch vom «Impact Investing» die Rede. Stärkt oder verzettelt dies die bisherigen Bemühungen?
Mit dem Impact Investing zeichnet sich eine interessante Entwicklung ab. Sein Ziel ist es, Aktivitäten zu finanzieren, die über Produkte und Dienstleistungen Werte für die Bevölkerung an der Basis der Pyramide schaffen. Die verwendeten Methoden haben positive Auswirkungen auf herkömmliche verantwortungsvolle Geldanlagen. Das ist ein gutes Beispiel für die Vitalität und Dynamik dieses Sektors.
SFG führt Philanthropie als eine Facette der Nachhaltigkeit auf. Ist es nicht etwas heuchlerisch, wenn man unter Schädigung von Mensch und Umwelt Gewinne scheffelt, nur um danach – nach Belieben – einen Bruchteil dieser Profite als Entschädigung zurückzugeben?
SFG berücksichtigt die Philanthropie in ihren Aktivitäten, weil sie über Direktfinanzierungen einen ökologisch und sozial positiven und nachhaltigen Einfluss anstrebt. In diesem Sinne gehört die Philanthropie zum verantwortungsbewussten Investment. Ein verantwortungsvoller philanthropischer Ansatz verlangt, dass die Gelder, die in die Projekte fliessen, im Einklang mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung verwaltet werden («Mission Coherent Investment»). Die rechte Hand muss wissen, was die linke tut. SFG vertritt die Ansicht, dass beispielsweise die gemeinnützigen Stiftungen systematisch eine verantwortungsvolle Anlagepolitik verfolgen müssten.
Sind wir nach all den zahlreichen Anstrengungen, Finanzwelt und Wirtschaft nachhaltig zu gestalten, nicht immer noch weit vom Ziel entfernt? Lohnt es sich, diesen Weg weiterzuverfolgen?
Die Antwort ist einfach: Zurück können wir nicht. Nur ein verantwortungsvolles Finanzwesen im Dienste einer nachhaltigen Wirtschaft kann die Bedingungen für den Wohlstand schaffen, den wir alle anstreben. Der Erfolg ist hingegen nicht garantiert. Er verlangt ein Umdenken von Wirtschaft und Finanzen. Um diese Bewusstwerdung voranzutreiben und um die Finanzspezialisten anzuregen, sich diesbezüglich zu engagieren, hat SFG im Mai 2012 ihre «Individual Principles for the Responsible Investor» veröffentlicht: «I know, I apply, I share». Es handelt sich um eine praxisgerechte Umsetzung des Grundsatzes «global denken, lokal handeln». SFG ist eine für Alle zugängliche offene Informations-und Austauschplattform.
www.sfgeneva.org (Sustainable Finance Geneva)
www.globalreporting.org (Global Reporting intiative)