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Interview mit Ulrich Thielemann

Ulrich Thielemann ist Gast an der diesjährigen Generalversammlung von ACTARES (siehe S. 12). Der 1961 geborene Dr. oec. steht seit dem Ausbruch der Finanzkrise mehr als je im Rampenlicht der Medien. Kein Wunder: Seit langem hinterfragt er die Erhebung des Marktes in den Status eines übergreifenden Prinzips. Zurzeit arbeitet er an einem Buch zum Thema «Das Ende der Marktgläubigkeit», das im Herbst erscheinen wird. Ulrich Thielemann ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St.Gallen und verfasst den jährlichen Bericht der Ethikkontrollstelle der Alternativen Bank Schweiz (ABS). Nachfolgend äussert er sich zu den Wegen, wie Ethik in die Finanzwirtschaft eingebracht werden kann.

ACTARES: Herr Dr. Thielemann, kann man überhaupt Ethik ins Finanzgeschäft einbringen: «Business is business» und der Staat soll Gesetze schaffen?
Ulrich Thielemann: Zunächst «kann» man ethische Reflexionen und ein darauf basierendes Handeln überall einbringen. Ethik ist niemals «unmöglich». Es fragt sich nur, ob auch Unternehmen - etwa Banken - der angemessene Ort dafür sind. Und die Antwort fällt glasklar aus: Ja. Eine ethisch verantwortungsvolle Geschäftspolitik von Banken ist unverzichtbar. Dies zeigt ja auch die aktuelle Krise, die im Wesentlichen darauf basiert, dass alle ethischen Bedenken beiseite geschoben wurden und den Bankmitarbeitern ihre Integrität durch Boni sozusagen abgekauft wurde. Ethische Überlegungen ins Banking einzuführen bedeutet unausweichlich, dass der Gewinn nicht das oberste Kriterium bilden darf. Gewinnstreben ist erlaubt und sogar erwünscht in der Marktwirtschaft. Aber Gewinnmaximierung ist ethisch nicht rechtfertigungsfähig. Unternehmen sollten der Gewinnmaximierung abschwören, egal, ob man sie als kurz- oder langfristig begreift. Denn sonst würden die Anliegen der Stakeholder nur nach Massgabe ihrer Macht, die Rentabilität zu beeinflussen, berücksichtigt. Damit gerieten aber die Unternehmen, die sich von wahrhaftiger Integrität leiten lassen, unter Wettbewerbsdruck. Dies ist der Grund, warum es der Regulierung bzw. der Gesetze bedarf. Diese sollen lediglich sicherstellen, dass der Verantwortungsbewusste nicht der Dumme ist. Geschäftsethik und Ordnungsethik sollten also nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Kann man aus dem Beispiel der Alternativen Bank schliessen, dass eine «ethische Aufsicht» bei Grossbanken eine Option ist?
Ich würde statt von «Aufsicht» lieber von einem professionellen Sparringspartner in Sachen Ethik sprechen. Dieser würde den Banken sehr gut tun, insbesondere da gerade hier die Marktgläubigkeit tief verwurzelt ist. Man glaubt, je radikaler wir den Shareholder Value maximieren, umso besser für alle. Dies ist leider falsch - und führt früher oder später in die Katastrophe.

Bringt es etwas, wenn die Ethik durch eine Prüfungsstelle und einen Bericht formalisiert wird? Sollte sie nicht lieber bei den Menschen in der Firma bleiben?
Ich würde die beiden Seiten nicht gegeneinander ausspielen. Der unabhängige, frische Blick von aussen ist sehr hilfreich für die Integrität der Unternehmensführung. Aber handeln müssen die Akteure selbst. Die entscheidende Frage ist wohl eher, wie man das Management dazu bringt, sich für ethische Reflexionen, die beinahe notwendigerweise unbequem sind, zu öffnen.