Untreue Aktionärinnen und Aktionäre
Nestlé-Chef Peter Brabeck stellt die Freiheit der Aktionärinnen und Aktionäre, ihre Titel jederzeit zu verkaufen, der Treuepflicht der Geschäftsleitung gegenüber. Eine interessante Überlegung, aber ohne konkrete Folgen.
Zur Feier ihres zehnjährigen Bestehens lud die Stiftung Ethos im September 2007 zu einem Symposium mit einer Gruppe hochkarätiger Rednerinnen und Redner ein, darunter Peter Brabeck als Starreferent. Obschon die am Vorabend bekannt gewordene Ernennung von Paul Bulcke zu seinem Nachfolger als CEO in aller Munde war, gelang es dem Nestlé-Chef alle zu überraschen: In seinem Referat über die Beziehungen zwischen Aktionariat und Unternehmensführung bedauerte er die Asymmetrie in ihrem Verhältnis, die er offenbar als ungerecht empfindet. Während Letztere dem Unternehmen treu zu bleiben hätten, könnten Aktionärinnen und Aktionäre das Schiff nach Belieben verlassen.
Raubtierkapitalismus
War dies nun ein Lob für die langfristige Investitionspolitik von Ethos? Oder eine Kritik an gewissen Beteiligungsgesellschaften und Hedge Funds, deren Machenschaften gegenüber Unternehmen wie Ascom oder Sulzer nicht unbemerkt blieben? Jedenfalls ist die Kritik weder bei einzelnen Aktionärinnen und Aktionären noch bei den meisten institutionellen Anlegern wie etwa Pensionskassen gerechtfertigt.
Risiko und Freiheit
Wer die Freiheit, über sein Vermögen zu verfügen, anzweifelt, erschüttert die Grundfesten der kapitalistischen Wirtschaft. Von eben dieser Freiheit hängt die Liquidität des Aktienmarktes ab, ohne die das System stockt. Im Gegensatz zu den Gläubigern kann das Aktionariat nämlich nie Anspruch auf Rückerstattung seines Kapitals erheben. Es ist Besitzer der Gesellschaft und trägt das wirtschaftliche Risiko. Der Vertrauensverlust gegenüber einem Unternehmen oder noch simpler ein Liquiditätsbedarf sind zweifellos berechtigte Gründe für den Verkauf von Anteilen an einer Gesellschaft. Der Verwaltungsrat hingegen wird von den Aktionärinnen und Aktionären zwecks Vertretung ihrer Interessen gewählt. Er trägt ihnen gegenüber eine treuhänderische Verantwortung und muss dem erteilten Mandat treu bleiben. Peter Brabeck wird sich weiterhin mit einem vielfältigen und potentiell unbeständigen Aktionariat herumschlagen müssen.